Mann in Federrüstung

soloshow

13.5. - 19.6.2022

Kunstverein Leverkusen

installation views

Ausstellungstext Susanne Wedewer-Pampus, Mai 2022

 

Mann in Federrüstung

Der Boden ist ihr Material, ihn begreift die Bildhauerin Claudia Mann als eine existierende, fluktuierende Membran, ein Gewebe, das wir zwar immer großflächiger verschließen, das aber trotz all unserer Bemühungen nie vollständig fixierbar ist. Das Oben und das Unten beeinflussen sich in stetem Dialog, definieren sich. In das Unterhalb dieser Membran, dieses mal locker mal fester gewirkten Gewebes aus Erdbrocken, Zweigen, Steinen dringt Claudia Mann ein und setzt sich ins Verhältnis. Sie nimmt Spur und Formung ab und bringt diese in all ihrer Fragilität ans Oberhalb, lässt sie sich förmlich senkrecht ausdem Boden erheben, sich aufrichten in einer sie stabilisierenden, fassenden, sie abformenden Hülle. Eher eine „Federrüstung“ als eine Rüstung aus Eisen, - angelegt für die Dauer, so scheint es, eines Lebens, nicht der Ewigkeit. Mit dem Titel der Ausstellung im Kunstverein, „Mann in Federrüstung“, verstärkt Claudia Mann sehr bewusst die schon durch die Ausrichtung jeder Skulptur gegebene Verbindung zu ihrer Person. Mit der zur Diskussion gestellten Frage nach der Natur ihrer eigenen Rüstung gibt sie einmal mehr eine Verletzlichkeit zu erkennen, die auch ihren Skulpturen in hohem Maße inhärent ist und diese so lebendig und gleichzeitig so irritierend erscheinen lässt. Denn was bleibt, wenn das Gegenüber trotz angelegter Rüstung langsam zerbröselt, wieder zu Boden, zu Erde wird, vergeht? Fragen, die zu stellen wir nur allzu gerne vermeiden, berühren sie doch das uralte Thema unserer eigenen Vergänglichkeit. Doch gleichzeitig macht Claudia Mann deutlich, dass darin, in der Notwendigkeit fortwährender Veränderung auch die Chance unseres eigenen Wachsens liegt, in diesem soliden wie fragilen Zustand. Im Kunstverein Leverkusen hat Claudia Mann erstmals ihre „Headrests“ in Reihen an der Wand angeordnet, Portraits ihr manchmal bekannter Personen, ausgestellt wie in einer Ahnengalerie. Es sind bildnerische Konzentrate ihrer Kommunikation, die, mit der Hand in Ton – diesem Urmaterial - geformt, rein intuitiv entstehen, nicht einer Idee folgend. Uns Betrachtende erinnern diese kleinformatigen Skulpturen bei aller Vielfältigkeit ihrer Gestaltung nicht nur durch den Titel erst einmal primär an Kopfstützen, wie wir sie aus unterschiedlichen Kulturkreisen kennen. Allerdings gewinnt bei genauerer Betrachtung plötzlich das Figürliche Oberhand. Dialoge entstehen kreuz und quer über die Reihen hinweg, Geschichten werden gesponnen. Die kleinen Skulpturen verselbstständigen sich auf eine fast beunruhigende, unheimliche Art, werden zu einem eigenständigen Gegenüber. Ihrer Form implizit ist dabei stets die Anwesenheit von etwas Abwesendem, das diese Formung gefordert und sie zugleich auch hinterlassen zu haben scheint. Verweise letztlich auf Figürliches, ohne figürlich zu sein - auch ihre großformatigeren Skulpturen bergen bei aller Abstraktion immer diese Verweise, als Silhouette, als Abdruck, als Abformung. Darüber hinaus formulieren manche von ihnen auch im körperlichen wie im übertragenden Sinne eine Haltung wie „Aufrecht Bleiben“, das vorsichtige, manchmal verhaltene sich Aufrichten zu eigener Größe, aufrichtig. Wir spüren eine Präsenz, deren Herkunft wir kaum in Worte fassen zu vermögen, sie entziehen sich einer rein rationalen Herangehensweise. Etwas nicht Physischem Physis zu geben sieht sie als wesentliche Herausforderung der Bildhauerei. Deren Sprache beherrscht sie, ihr geht es darum, in ihr und mit ihr immer wieder neue Worte zu finden, neue Sätze zu bilden, ein neues Narrativ zu entwickeln. Dessen Rhythmisierung, dessen Klang bestimmt sie mit der Platzierung der einzelnen Arbeiten zueinander, achtet dabei jedes Mal auf Vorgaben und Forderungen des jeweiligen Raums. Sie lenkt unsere Bewegungsrichtung, unsere Leserichtung zwischen den auf Holzplatten platzierten Skulpturen, ermöglicht ein Innehalten, ein anschließendes Fortschreiten, ein Gespräch, ein sichverorten. Dass die Bühnenflächen der Skulpturen aus ungebranntem Ton auf drei Bronzeblöcken ruhen, die hier und da mit ihren aus dem Prozess des Gusses resultierenden Lecknasen in den Fuß- Boden überzugehen scheinen, ist ein wichtiger kleiner Baustein in der Logik ihrer bildhauerischen Denk- und Vorgehensweise – die Form der Sockelung sowie die fast reliefartige Fassung dieser Bronzen sind der Bildhauerei selbst geschuldet, der ehrlichen Handhabbarkeit des gesamten Ensembles. Gleichzeitig stellt Claudia Mann mit dieser sehr bewussten Setzung unsere Sehgewohnheit und vor allem unsere Erwartungshaltung ein wenig auf den Kopf, wenn plötzlich sorgfältig gegossene Bronzen als tragendes Element genutzt und die Skulptur selbst aus vergänglichem Material herstellt wird. Im Moment des Abstellens gehe es um „eine Punktlandung“, gehe es schon aus rein logistischen Gründen einmal mehr um die richtige Balance – so wie es in ihrer Arbeit immer um die Thematik der Balance geht, um Stabilität in der Fragilität und darum, diese zu finden und zu bewahren. Ein uns oft gar nicht bewusster geistiger und körperlicher Prozess. Die Bildhauerin verweist gerne auf unseren im Grundsatz instabilen Bewegungsablauf, basiert dieser doch auf nur zwei Punkten. Unser aufgerichteter Körper befinde sich daher letztlich in einem steten Versuch, sich mit dieser Gegebenheit in Einklang zu bringen, erfordere Stabilität doch stets drei Punkte. “Wenn man darüber nachdenkt, ist einem in der Kindheit der Boden sehr nah. Jeder Mensch bewegt sich nach der Geburt mit seinen Händen auf dem Boden fort, doch kurz darauf befreit er die Hände, steht und entfernt sich Tag für Tag weiter von der Erde“, so die japanische Schriftstellerin Riku Onda in einem ihrer Romane. - Wir entfernen uns letztlich Tag für Tag weiter von unserem Ursprung, riskieren allzu oft, den sprichwörtlichen Boden unter den Füßen zu verlieren, ringen um Haltung, um Balance. Ob in Federrüstung oder in Harnisch gekleidet obliegt jedem Einzelnen von uns.

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