Skulptur ist der Boden lautet Claudia Manns grundlegende These. Es ist verblüffend, wie radikal die Künstlerin in ihrer Theorie in der Nachfolge von Carl Andre (*1935 in Quincy, Massachusetts, lebt in New York City) und den KünstlerInnen der „Land Art“ der 1960er Jahre mit der klassischen bildhauerischen Werk-Sockel-Tradition bricht, und wie naheliegend und überzeugend sie zugleich ist. Der Erdboden wird durch natürliche und menschliche Einwirkungen kontinuierlich modelliert und verändert seine Formen und Konsistenzen unablässig. Besonders augenscheinlich wird dies beispielsweise in den Vulkanen und Geysiren im Norden oder in den Steinbrüchen im Süden. Jeder Fußabdruck im Erd- oder auch im Mondboden hat skulpturalen Charakter. Nicht zuletzt interpretiert schon die biblische Schöpfungsgeschichte den Boden als kreatives Material, denn „Gott formte den Menschen aus Erde vom Ackerboden.“ Der so als bildhauerische Urform definierte menschliche Körper spielt für Claudia Mann allerdings nur noch als Referenzobjekt eine Rolle, nicht mehr als Sujet. Ihr Verständnis vom Wesen der Skulptur ist universeller. Sie selbst äußert sich wie folgt dazu: „Zentral steht in meiner Arbeit der Mensch. Dafür muss ich derzeit keinen Menschen modellieren. […] Ich brauche auch keine Abbilder, sondern ich fusioniere Material und innere (psychische) wie äußere (physische) Vorgänge.“ Um ihre Theorie zu prüfen und zu festigen, bediente sich die Künstlerin wiederholt der Methode der Abformung von vorgefundenen Strukturen oder eigenhändigen Ausgrabungen. Dies erscheint zunächst als sehr einfacher Vorgang. Tatsächlich erfordert der bildhauerische Prozess aber größte Aufmerksamkeit und höchste Konzentration, wie die Künstlerin erläutert: „Während ich arbeite, erscheint die Negativform gleichzeitig auch als Positivform. Ich bin gedanklich innen wie außen. Und von Innen nach Außen zeigt sich, dass das Innen nicht hohl ist, sondern dass hier die Antwort liegt. Positivform und Negativform sind für mich gleichgestellt. Ich interessiere mich für jeden Schritt und bin aufmerksam, im Ganzen zu sehen. Das Abformen war eine Konsequenz, weil ich begriffen habe, dass Boden selbst Skulptur sein kann. So entstand die Möglichkeit, den Boden anzuheben, umzudrehen, in Bezug zu setzen mit allen Komponenten und noch mal neu zu befragen – ihn in die Bildhauerei einzuführen und abzuformen, was eine grundlegende bildhauerische Tätigkeit ist.“ Dennoch erachtet Claudia Mann den menschlichen Körper buchstäblich als maßgebend, geht doch die menschliche Wahrnehmung stets und zwingend vom Subjekt aus: Sie setzt ihren eigenen Körper als Messinstrument für ihre Ausgrabungen und die davon angefertigten Abformungen ein. Der Boden ist damit nicht nur an sich Skulptur, sondern er vermag auch weitere Skulpturen zu gebären.
Marion Bornscheuer, „Skulptur Ist Boden", Auszug aus dem Ausstellungskatalog „Claudia Mann. Hab keine Angst vor mir“, Hrg. Museum Moderner Kunst Wörlen, Passau 2021, S.4.
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